Vom 27. September bis 1. Oktober 2023 kamen 1000 Menschen aus 50 Ländern ans Goetheanum, um an der Goetheanum Weltkonferenz teilzunehmen. Die Zusammenkunft war so konzipiert worden, dass jeder daran mitarbeiten konnte, der dem Aufruf «Weltbewegung neu gestalten« folgen wollte. In sechs Sprachen wurden alle Beiträge übersetzt, aber es erklangen weit mehr Sprachen während dieses doch auch festliches Treffens.
Die Konferenz begann mit einer Eröffnung, in der Trompetenklänge das Hören anregten. Anschließend eröffnete die 8 Meter lange Kunstarbeit „Guernica de la Ecologia“ von Claudy Jongstra auf der großen Bühne das Sehen, woraufhin 60 Menschen aus dem Publikum unerwartet aufstanden und auf die Bühne gingen, um dieses Werk als Fenster in die Welt zu betrachten. Dieser Ruf an Mensch und Erde war wie eine neue Verbindungsgestaltung. Es folgten Kurzbeiträge aus aller Welt; so sprach die Welt und hörte zugleich zu. Die Michaelimagination in eurythmischer Darstellung rundete die Eröffnung ab, und die Weltkonferenz hatte begonnen.
Von hier aus ging es in insgesamt zwölf Themenforen weiter, die aus zentralen Weltthemen des vorab gemachten Open Calls und durch die Sektionen der Hochschule zustande gekommen waren. (Am Ende des Berichtes werden Kurzfassungen dieser Themen zusammengestellt sein). Nach der Mittagspause, während der man an unterschiedlichsten künstlerischen und dialogischen Aktivitäten teilnehmen konnte, traf man sich erneut den Panelbeiträgen und Diskussionen im Großen Saal. Hier wurde von Initiativen aus Landwirtschaft, Pädagogik und Jugendhilfe, von sozialen Initiativen und wirtschaftlichen Unternehmungen berichtet, im Anschluss wurde auf dem Podium über die Impulsreferate zum Konferenzthema „Weltbewegung neu gestalten“ diskutiert.
In der letzten Einheit vor dem künstlerischen Abendprogramm traf man sich in über 35 von den LandesrepräsentantInnen moderierten Arbeitsgruppen zur Bearbeitung weiterer Fragestellungen, die die Weltbewegung und ihre Wirksamkeit in der Welt betreffen. Die Konferenz hat maßgeblich von den Begegnungen, Wiederbegegnungen, dem Gespräch, Austausch und einer gemeinsamen Bewusstseinsbildung gelebt, aus der sich neue Impulse, veränderte Sichtweisen, Anregungen, Kontakte und eine Unterstützung im eigenen Tun bildete.
Folgende Fragen bewegten uns in der Vorbereitung auf die Zusammenkunft: Die globale Weltgesellschaft ist an einem Wendepunkt angelangt. Alle bisher gegoltenen Bezugspunkte scheinen mehr und mehr zu verschwinden. In vielen Lebensbereichen der Welt, zunehmend auch in den westlichen Industrienationen, kommt es zu Ausnahmezuständen, massiven Notlagen und Kriegen. Daher wird es für den Einzelnen und die Gesellschaft immer schwieriger, die Welt zu verstehen, sich in ihr zu orientieren und zu handeln.
Wie kann unter Berücksichtigung dieser Bedingungen die Erde, die der Mensch zum Teil bereits zerstört hat und fortwährend weiter zerstört, dennoch in einer ihrem Wesen entsprechenden Weise neugestaltet werden? Wie kann die Menschenwürde dennoch bejaht werden, obwohl sie strukturell an vielen Orten der Welt fortlaufend verletzt wird? Wie kann das Leben als sinnvoll erlebt werden, obwohl Zynismus waltet? Gibt es nicht in der Tiefe eines jeden Menschen ein Ja zum «Auf-dieser-Erde-leben-Wollen»? Könnte es nicht sein, dass gerade die überall sichtbaren Zeichen des Verfallens der Erde, die Verletzung der Menschenwürde und die erlebte Sinnlosigkeit ein Gegenüber bilden, an dem sich das Ja für das Leben artikuliert – auch wenn viele Menschen dieses Ja nicht mehr äußern können? Wir denken, dass gerade daraus ein neuer Gestaltungswille entwickelt und aus unseren unterschiedlichen Lebenssituationen heraus ein gemeinsamer Wille zur Verwandlung gebildet werden können.
Mit dem Aufruf «Weltbewegung neu gestalten», nach mehr als 100 Jahren anthroposophischer Arbeit und am Anfang des zweiten Jahrhunderts ihrer Wirksamkeit, fragen wir nach neuen Entwicklungsschritten und Zukunftsperspektiven. In diesem Essay möchten wir Impulse geben, diesen Neu-Anfang zu ergreifen und rufen Sie auf, daran mitzugestalten. Die Konferenzarbeit geht weiter, sie ist eine Kultur- und Haltungsfrage, die weitere Schritte fordert.
Die Anthroposophie hat sich in dieser bedrohten Welt entwickelt, sie ist ein Teil von ihr und spricht gleichzeitig zu ihr. Die anthroposophische Bewegung und ihre Institutionen, Organisationen, Schulen, Höfe, Kulturstätten mit all ihren Menschen stellen sich den schwierigen Lebensbedingungen und Herausforderungen unserer Zeit. Ob in Indien biodynamische Präparate für den Kompost von tausenden von Bauern bereitet wird, in England aus der Bahn geratene Jugendliche einen neuen Weg ins Leben finden, in Ägypten die Wüste mit biodynamischer Landwirtschaft fruchtbar gemacht wird oder in den brasilianischen Favelas Kinder Essen und Schulbildung erhalten, an jedem Ort dieser Welt wird durch Anthroposophie versucht, Beiträge zu einer lebenswürdigen und sinnvollen Wirklichkeit zu leisten. Alle Initiativen verbindet diese gemeinsame Suche.
Und doch bewegt sich die gegenwärtige Arbeit mit der Anthroposophie in einem Spannungsfeld zwischen Verknöcherung, einem Festhalten an und Verharren in alten Formen, und Verwässerung auf der anderen Seite, in dem die Substanz der Anthroposophie zunehmend zu verschwinden droht. Pionierprojekte und -gemeinschaften, in denen sich Anthroposophie über Jahrzehnte entwickelt hat, zeigen, dass ein Festhalten an alten Handlungsweisen und Lebensgewohnheiten in den Zerfall führen kann – die innere Kraft geht zurück, Menschen brennen aus, es gibt keinen Nachwuchs, der die Arbeit übernehmen würde, oder die äußeren Strukturen geraten in Konflikt mit dem Umfeld oder staatlichen Vorgaben. Auf der anderen Seite erleben wir in vielen anthroposophischen Organisationen wie Schulen, Banken, Heimen, Unternehmen usw. Prozesse der Ausdünnung und des Substanzverlustes. In manchen Einrichtungen wird die Anthroposophie nahezu verdrängt oder sogar dezidiert entfernt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Was ist unser gemeinsames Verständnis der Anthroposophie und ihrer aktuellen Aufgabe in der Gegenwart und Zukunft? Das betrifft sowohl die Weiterentwicklung der Anthroposophie als Geisteswissenschaft als auch ihre fruchtbare Verwirklichung und Pflege in den Arbeitsfeldern.
Daran knüpft sich eine doppelte Frage: Wie können wir die Anthroposophie so leben und vermitteln, dass die unterschiedlichen Strömungen und Ansätze sich ergänzend fruchtbar werden können, ohne sich zu bekämpfen? Und wie können wir Wesentliches zu den Herausforderungen und Bedürfnissen unserer Zeit beitragen? Das erfordert eine übergeordnete Bewusstseinsbildung und Zusammenarbeit über die eigenen Einrichtungen und Initiativen hinaus. Zudem stellt sich im Hinblick auf das Umfeld die Frage, ob wir Allianzen und Kooperationen mit Menschen und Organisationen eingehen wollen, die verwandte Ziele haben.
Weltbewegung neu Gestalten — ein Gespräch zwischen den Arbeitsfeldern, der Freien Hochschule und der Anthroposophischen Gesellschaft
Keynotes am Morgen, die Panels und Gesprächsgruppen am Nachmittag
Ausgangspunkt der Keynotes und Panels waren die folgenden Fragen: Wie kann die Arbeit mit der Anthroposophie in einer sich schnell verändernden Welt erneuert und gestärkt werden? Was sind nach mehr als 100 Jahren ihres Bestehens Wege in ein neues Jahrhundert? Wie können wir die gemachten Erfahrungen, Herausforderungen und Errungenschaften der Anthroposophischen Bewegung, Gesellschaft und der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft in die Zukunft führen?
Was heißt in diesem Zusammenhang neu gestalten? Drei Möglichkeiten wurden dabei sichtbar – erstens ein Gestalten von innen, aus inneren Intentionen; zweitens ein Gestalten der Verbindung von Innen und Außen, aus dem Spannungsfeld zwischen innerer Intention und der Integration äußerer Anforderungen; und drittens das Gestalten aus der Um- und Mitwelt, ein Formen der äußeren Kontur durch den Umraum.
In den morgendlichen Keynotes sind drei Motive aus der Grundsteinmeditation thematisiert worden: Unser Bezug zu den Ursprungskräften, unsere Einbindung in die Menschengemeinschaft und unsere Möglichkeit, die Welt denkend zu verstehen. In diesen drei Motiven liegen Inspirationsquellen für die großen Herausforderungen, vor die uns unsere Zeit stellt. Wie kann jeder die Quelle seines Schicksalswillens so erschließen, dass er sich aktiv beitragend in die Welt stellen kann? Wie können wir zwischen uns einen Herzraum öffnen, damit wir den Gefahren der Gruppenbildung und Abgrenzung standhalten können? Wie kann der einzelne Mensch sich eigenständig denkend so mit der Ideenwelt verbinden, dass er sich erkennend in einer sicheren Realität zu Hause weiß? So haben diese Beiträge die Inspirationskraft der Anthroposophie für die Herausforderungen der Gegenwart zugänglich und erfahrbar gemacht.
Als innere Haltungen kann man drei Qualitäten aus dem Beitrag von Christine Gruwez und Constanza Kaliks zusammenfassen:
Eine Haltung, die der Gefährdung vieler anthroposophischer Institutionen, die in den letzten Jahrzehnten gewachsen sind, ins Auge schaut und die Herausforderung annimmt, sie von innen neu zu befeuern und das Äußere bedenkend realitätswillig zu gestalten und zu führen.
Das Suchen nach einer Beziehungsbildung zwischen anthroposophisch inspirierten Institutionen und der Öffentlichkeit, die einerseits einem inneren Auftrag Rechnung trägt, die in diesem Sinne aber auch bereit ist, die von außen an sie herantretenden Herausforderungen anzunehmen und sich ihnen zu stellen.
Das Suchen nach einer Gestaltung der Weltbewegung, die keinen statischen, sondern fortlaufend pulsierenden Weltzusammenhang und eine kosmopolitische Inspirationskraft lebendig werden lässt.
Ein Suchen nach einer Gestaltung der Weltbewegung, die es als ihr inneres Ziel sieht, eine lebendig pulsierende Beziehung zur Welt zu verwirklichen und daraus eine für die eigene Arbeit inspirierende Kraft zu gewinnen.
Die inspirierende Zusammenarbeit während der Weltkonferenz bestätigte die lebendige Existenz einer durch Anthroposophie getragenen Tätigkeit, die in verschiedensten Lebensbereichen wie Pädagogik, Medizin, Landwirtschaft, Kunst, Schöne Wissenschaften, Heilpädagogik, Naturwissenschaft, Jugendarbeit, Ökonomie sowie allgemeine Kulturgestaltung wirksam ist. Es bewegte uns die Frage, wie die Arbeit mit der Anthroposophie in einer sich schnell verändernden Welt erneuert und verstärkt werden kann. Welche Schritte stehen nach mehr als 100 Jahren ihres Bestehens an? Wie können wir die Erfahrungen, Herausforderungen und Errungenschaften der anthroposophischen Bewegung, der Anthroposophischen Gesellschaft und der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft noch bewusster aus den Anforderungen der Gegenwart weiterentwickeln und in die Zukunft führen.
Die anthroposophische Weltbewegung ist beweglich, vielgestaltig und vielfältig. Sie ist in ihren Lebens- und Arbeitsformen nicht fest, klar definiert oder einheitlich gestaltet. Sie ist dezentral organisiert, sodass jede Einrichtung und Institution sich weitgehend selbstverantwortlich gestaltet; freilich gibt es fachbezogene Zusammenhänge, in denen sich Institutionen zusammenschließen. Letztlich sind die Arbeit und das Leben durch verschiedenste Kulturen und Lebensrealitäten gefärbt, und all diese Einrichtungen zusammen bilden eine vielfältige und bunte, zivilgesellschaftliche Bewegung. Aus dieser Perspektive heraus soll nun auf mögliche Entwicklungsschritte geblickt werden. Es geht dabei darum, Phänomene zu beobachten, ohne sie festzuschreiben. Anthroposophisch inspirierte Einrichtungen und Institutionen sind so vielfältig wie der Mensch selbst. Die anthroposophische Bewegung in diesem Sinne ist eine offene Bewegung, die viele Lebensformen miteinschließt.
Die soziale Ordnung der Welt verliert immer schneller ihren Zusammenhalt. Extremismus und Ausgrenzung gegenüber allem, was anders als das Gewohnte ist und daher nicht akzeptiert wird, nehmen stetig zu. Einzelne Individuen, Gruppierungen, Länder sowie der sich stetig intensivierende West-Ost-Konflikt und die anhaltende Nord-Süd-Ungleichheit sind Ausdruck dessen. Inmitten dieser zerreißenden Kräfte eine übergeordnete Mitmenschlichkeit auf der Grundlage einer frei gewählten Solidarität und des Kosmopolitismus zu fördern und zu pflegen ist eine Perspektive der anthroposophischen Bewegung als Weltbewegung. Sie versucht dort, wo Erde und Mensch selbst Gegenstand der Arbeit sind, diese als in die Realität kosmischer Zusammenhänge eingebettet zu sehen und zu bearbeiten. Dies bietet einen Entwicklungsraum, um das «Gegeneinander» zu überwinden und den Blick für die gemeinsamen Nöte und Bedürfnisse zu öffnen. Mitmenschlichkeit ist offen, bezieht sich auf die Gemeinsamkeit des Menschseins; sie schließt ein, fragt, lädt zu Kooperation und gegenseitiger Hilfe ein. Der Kosmopolitismus erweckt dabei zugleich das Weltbewusstsein.
Die Entwicklung und Entfaltung jedes Menschen, jeder Biografie, gestaltet die Welt, prägt die Kultur und die Lebensbedingungen anderer. Die Einzigartigkeit des Weges jedes Einzelnen bedarf der Zeugenschaft und Anteilnahme durch andere. Eine kosmopolitische Geste nach Außen bedingt eine Gründung und Beheimatung im eigenen Inneren. Wie kann diese Doppelbewegung in einem fordernden Alltag ermöglicht, gefördert und gepflegt werden? Was bedeutet sie für eine Schule? Einen Hof? Eine Kultureinrichtung, oder ein Wirtschaftsunternehmen? Wie erneuern wir täglich die Perspektive, in der die Welt in den Fluchtpunkt des je individuellen Ichs einmündet und gleichzeitig aus diesem persönlichsten und innersten Punkt wahrgenommen wird?
Am Kreuzungspunkt der offenen, kosmopolitischen Zeitgenossenschaft und der individuellen, tief ausgeloteten Verankerung in der eigenen Schicksalssubstanz kann die Quelle für den Willen zur Anthroposophischen Gesellschaft als Weltgesellschaft erlebt werden. Sie ist als solche nicht gegeben, sondern kann aus dem individuell erforschten und erlebten Menschheitlichen und aus dem Individuellen, das sich am Du der anderen Individualität ins Menschheitliche weitet, immer wieder neu entstehen. Die anthroposophische Weltbewegung bedingt eine anthroposophische Gesellschaft, die anthroposophische Gesellschaft bedingt aber auch die Weltbewegung.
Die Zukunft der Arbeit mit der Anthroposophie liegt in der Forschung und Weiterentwicklung, wobei hier Forschung im breitesten Sinne gemeint ist. Sie ist an die Organisation und die Mitarbeitenden vor Ort angepasst, die die Forschungs- und Entwicklungsfragen mittragen. Die Erfahrung der Organisationen ist, dass eine forschende Haltung durch Anthroposophie inspirierend erfrischt, Neues in die Einrichtung hineinbringt, die Lebensbedingungen der Arbeit erweitert und verändert sowie die Initiative der Mitarbeitenden fördert. Sie ist ein wirksames Mittel, um Verknöcherung zu verhindern und der Substanz immer wieder neu zu begegnen. Sie fließt dann unmittelbar in die Arbeit ein und kann weitergetragen werden.
Aus der Forschung folgen Lehre und Weiterbildung als zwei zentrale Aspekte einer lebendigen und zukunftsorientierten Bewegung und Organisation sowie auch für das Anliegen des Einzelnen. Die Details stellen sich für jeden Kontext anders dar und erfragen individuelle Ansätze. Ein neuer Strom der Weiterbildungslandschaft kann aus dem Bewusstsein einer Weltbewegung heraus aufgebaut werden.
Das Goetheanum ist seit seiner Gründung eine Weltschule im breitesten Sinne. Eine Schule im Zeitenstrom der menschlichen Entwicklung. Sie hat einen Standort und einen juristischen Träger, ist aber wie die Bewegung dezentral und kennt eine weltweite <Studentenschaft> in über 78 Ländern. Hochschultätigkeit ist Forschung und Lehre. Der soziale Willens-Strom aus dieser Quelle kann seinerseits wieder eine Aufgabe tragen wollen: Die Hochschule für Geisteswissenschaft mit den Sektionen und der gemeinsamen Michaelschule. Damit der Einzelne das Ganze repräsentieren kann: vor sich, der Gemeinschaft und der Welt.
Aus Forschung und Lehre entspringen Initiativen, Innovationen und Unternehmertum. Gleichzeitig fließen die Ergebnisse der Arbeit in den Lebensfeldern in die Sektionen zurück und werden dort aufgenommen und weiterentwickelt. Im Sektionszusammenhang finden Initiativen, Organisationen, Institutionen, und Unternehmen Vernetzung und bilden Partnerschaften. Das geschieht zunächst in den eigenen Fachgebieten, im eigenen Land und Kulturraum. Doch fordert und fördert das Goetheanum durch seine weltweite Tätigkeit weitergehende Partnerschaften. So entstand beispielsweise 2016 die World Goetheanum Association als vereinigendes Organ der Weltbewegung. Neue Partner sind in diesem wachsenden Arbeitsbereich willkommen.
Viele Anliegen und Arbeitsziele in den anthroposophischen Arbeitsfeldern können nicht allein realisiert werden. Um eine möglichst breite Wirksamkeit zu erreichen braucht es die zielgerichtete Arbeit in Allianzen mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen. So können gemeinsam gesellschaftliche Freiräume gestaltet werden, z.B. für freie Therapie- und Arzneimittelwahl, für GVO-freies Saatgut, für die Abwendung des Digitalisierungszwanges in der frühen Kindheit usw. Die Arbeit in Allianzen mit nichtanthroposophischen Akteuren soll hierbei gelernt und vermehrt praktiziert werden.
Im letzten Schritt erweitert sich der Horizont zur Mitarbeit an den Lösungen für die Nöte der Welt. Anthroposophie dient hier als Boden und methodische Grundlage. Hier sind wir Teil der sämtlicher kultureller und zivilisatorischer Bemühungen. Fordern wir von uns das selbstlose Wirken in der Welt und fördern wir uns gegenseitig in diesem Engagement.
Im Jahr 2022 hat das Goetheanum in Vorbereitung der Weltkonferenz mit einem Open Call die Frage gestellt, was wichtig für die Weiterführung der Arbeit mit der Anthroposophie ist. Hunderte von Rückmeldungen sind daraufhin eingegangen. Ein Resultat war die Formulierung von zwölf Themenfeldern, die thematisch teilweise mit Forschungsvorhaben der Sektionen kongruent waren und die wir in den kommenden Jahren weiterbearbeiten wollen.
Die Themen selbst können bereits als ergebnis- und zeitspezifisch angesehen werden und bieten somit eine wertvolle Grundlage und Orientierung für alle, die in der Weltbewegung wirksam sind. Im Folgenden fassen wir die Themen zusammen, längere und aktualisierte Beschreibungen des Forums werden durch die jeweilige Forengruppen weiter aufgegriffen.
Nr. 1
Wir wollen uns Perspektiven erarbeiten, um aus der geistig-seelischen Dimension der Anthroposophie in co-creativer Haltung und Tätigkeit die Zukunft der Erde aus Verantwortung mitzugestalten.
Nr. 2
Was verstehen wir unter menschlicher Gesundheit und wie können wir diese fördern? Die menschliche Gesundheit lässt sich nicht von der Gesundheit des Erdorganismus trennen – beide bilden einen Gesamtzusammenhang. Was macht die Gesundheit und Resilienz von Böden, Pflanzen und Tieren aus? Wie schaffen wir auf Grundlage der Anthroposophie ein vertieftes, praxistaugliches, transdisziplinäres Verständnis von Gesundheit im umfassenden Sinne?
Nr. 3
Wie können wir mit den technischen Errungenschaften so umzugehen lernen, dass wir uns im Umgang mit ihnen nicht selbst verlieren? Welche leiblichen, seelisch-geistigen Fähigkeiten müssen wir entwickeln, damit wir in der Lage sind, der Technik ihren angestammten und notwendigen Platz zuzuweisen?
Nr. 4
Meditation bedarf heute einer gesunden Inkarnation als Boden um wirksam zu werden. Wie finde ich innere Ruhe und gleichzeitig auch die Kraft für Aufbruch und Verwandlung? Geist-Erfahrung heute bedeutet das Gewahr-Werden des Berührtseins durch den Geist, ein Sich-Ansprechen-Lassen und einen Resonanzraum bilden, um in der Welt des Geistes seelisch und mit dem Ich heimisch werden zu können.
Nr. 5
Im Fokus der gesellschaftlichen Diskussion steht immer mehr die Forderung, die Zugehörigkeit des Menschen zu bestimmten kulturellen, sexuellen oder religiösen Gruppen wahrzunehmen und wertzuschätzen. Eines der wichtigen Ziele der pädagogischen und therapeutischen Begleitung ist die Stärkung der Individualität. So gehe es in der pädagogischen und sozialtherapeutischen Beziehung darum, darauf hin zu wirken, dass der Mensch «an der Entfaltung der individuellen Freiheit in seinem Leibe kein Hindernis hat.» ( R. Steiner, 22.1.1922)
Nr. 6
Aus der Anthroposophie heraus suchen wir eine Vermenschlichung der Wissenschaft, sowohl in ihren Grundgedanken als auch in ihrer lebenspraktischen Anwendung. Wissenschaft soll durch künstlerische Methoden erweitert und künstlerisch-soziale Prozesse sollen durch wissenschaftliche Ansätze vertieft werden. Eine besondere Chance bilden in dieser Hinsicht goetheanistische Ansätze. Ihnen kommen aus geistiger Initiative erfasste moralische Imaginationen entgegen, oder ‚moralische Phantasien‘. Das freie Menschentum des Goetheanismus ist kein Luxusgut einer sonst schon abgesicherten Gesellschaft, sondern wird einen wesentlichen Beitrag für unsere Zukunft zu leisten haben.
Nr. 7
Anthroposophie hat lange ein Nischendasein geführt, obwohl sie der Welt zugehört. Wie aber kommt Anthroposophie in die Welt? Was verlangt eine wachsende Öffentlichkeit von uns selbst? Finden wir verständliche Bilder, überzeugende Formen und eine zeitgemäße Sprache? Wie reagieren wir auf Angriffe, Diffamierungen und Verfälschungen? Und: Wollen wir lernen, in den öffentlichen Angelegenheiten mitzureden?
Nr. 8
Es wird immer wichtiger werden, in Prozessen zu denken, um aus der Dynamik von Konflikt und Gewalt herauszukommen und Wege für eine konstruktive, gewaltfreie, gemeinsame Schaffung eines nachhaltigen Friedens zu finden. Dazu braucht es den interaktiven und integrativen Dialog über zeitgenössische Konflikte und Friedenskonsolidierung. Das Konzept des Friedens berührt verschiedene Ebenen und Bedeutungen. Frieden bezieht sich auf unsere ökologische Krise, ethnische Konflikte, wirtschaftliche Gerechtigkeit, zwischenmenschliche Fragen, Organisationsgestaltung, Demokratie und viele andere Aspekte unseres gesellschaftlichen Lebens.
Nr. 9
Wenn es uns gelingt, die Wirtschaftsprozesse so zu gestalten, dass sie gesundend für die Menschen und die Natur sind, werden wir nicht nur die Klima-Herausforderungen meistern, sondern auch bei den großen sozialen Aufgabenstellungen entscheidende Erfolge erzielen. Dabei gilt es, sowohl auf die Ursachenals auch auf die menschlichen Gewohnheiten zu schauen, aber auch auf die von Menschen gemachten Instrumente, wie das Geld.
Nr. 10
In der Folge des Forums findet im Juni 2024 ein Treffen von VerlegerInnen, BuchhändlerInnen und BibliothekarInnen am Goetheanum statt. U.a. soll eine Übersicht über die Herausgabe von Werken Rudolf Steiners weltweit anlässlich seines 100. Todestag im Jahr 2025 erarbeitet und online zugänglich gemacht werden. Desweiteren wird die Forum-Initiative weiterverfolgt, von der Leitung der Allgemeinen Anthroposophischen Sektion aus Module zu den Grundlagen der Anthroposophie und zur Werkbiographie Rudolf Steiners den internationalen Ausbildungsseminaren anzubieten.
Nr. 11
Die künstlerische Tätigkeit ist keine mehr, die nur den bildenden und darstellenden KünstlerInnen vorbehalten wäre. Unsere gegenwärtigen Lebensverhältnisse machen es vielmehr notwendig, dass die Kunst idealerweise von jedem Menschen ausgeübt wird. Künstlerisch tätig zu sein ist, um in einer technisierten Welt als Mensch zu überleben und ein freies Wesen zu bleiben, überlebensnotwendig. Dazu wird es in den kommenden Jahren entscheidend sein, Wege zu finden, wie wir künstlerisches Üben und Gestalten für alle Menschen zugänglich machen, und damit eine Transformation der gegenwärtigen Krise herbeiführen können.
Nr. 12
Wo sind die Hindernisse in Organisationen und Unternehmen der heutigen Welt, die die Anthroposophie auf einzigartige Weise angehen kann? Wo blüht die Anthroposophie auf und verwandelt Herausforderungen in Chancen, und warum? Es wird notwendig sein, dies in den kommenden Jahren schrittweise zu untersuchen und gemeinsam zu bearbeiten.
Dieses Dokument wurde nach mehreren Feedback- und Schreibrunden zusammengestellt. Es wird nicht alles erfassen können, was auf der Weltkonferenz angestoßen wurde, sondern versucht, einen ersten Schritt in Richtung einer bewussten Weiterentwicklung und Pflege der gemeinsamen weltweiten Arbeit zu machen.
Im Namen der Vorbereitungsgruppe,
Ueli Hurter und Johannes Kronenberg
Dornach, Mai 2024.